Der Zollstock

Als ich letztens bei meinem alten Freund, Ferdinand Zacchi, in seinem kleinen Reetdachhaus in Wyk auf Föhr einschaute - - ich wollte ihm gratulieren - -,

  lag da ein Zollstock auf seinem Schreibtisch. Ich fragte ihn, ob er sich noch so ein kleines Haus bauen wollte. - - "Das gerade nicht", sagte er und lachte so still vor sich hin, "aber der Zollstock hat seine Geschichte:

Das ist nun fünf Jahre her, da kam mein Nachbar, Friedrich Tischler, zu Besuch und fragte mich, wie alt ich war. "Fünfundsechzig", sagte ich. "Und wie alt willst du noch werden ?" - - "Na, ich denke so an die Siebzig." Da greift er in seine Rocktasche und holt einen Zollstock īraus. "Schau", sagt er, "bis Fünfundsechzig" - - und er streicht mit dem Finger darüber hin - -, "das ist eine lange Zeit ! Man, Fünfundsechzig bis Siebzig - -, das ist ein kurzes Ende." Ich bekam meist einen Schreck, als ich das kleine Stück sah. "Friedrich", sagte ich, "laß den Zollstock hier." - -

Seit der Zeit - - ich bin nun Siebzig - - liegt er auf meinem Schreibtisch, und ich schau ihn jeden Tag an, und er schaut mich an, und dann wissen wir, daß das Ende immer kürzer wird."

Eduard Edert, 1964 - in Hochdeutsch übertragen von Peter Kahllund, Rosendahl 2003

Version auf Platt

zurück in den September

PS. Schauen Sie auch gernmal bei der "Altenbegegnung" gleich hinter der Marienkirche in Husum vorbei

oder unter http://www.altenbegegnung.de/