Der Rote Haubarg

An der Landstraße, nicht weit von Witzwort, steht ein großer stolzer Hof, der Rote Haubarg; der hat der Sage nach 99 Fenster. Vor Zeiten stand hier ein kleines, elendes Haus, und ein armer, junger Mann wohnte darin, der in die Tochter des reichen Schmieds, seines Nachbarn gegenüber, verliebt war. Das Mädchen und die Mutter waren ihm auch gewogen; doch der Vater wollte nichts davon wissen, weil der Freier so arm war. In der Verzweifelung verschrieb er seine Seele dem Teufel; wenn er ihm in einer Nacht bis zum Hahnenschrei ein großes Haus bauen könnte.

In der Nacht kam der Teufel, riß das alte Haus herunter und blitzschnell erhuben sich die neuen Mauern. Vor Angst konnte der junge Mann es nicht länger auf dem Bauplatze aushalten; er lief hinüber in des Schmieds Haus und weckte die Frauen, wagte aber nun nicht zu gestehen, was ihm fehle. Doch, als die Mutter einmal zum Fenster hinaussah und mit einem Male ein großes Haus erblickte, dessen Dach eben gerichtet ward, da mußte er bekennen, daß er aus Liebe zu dem Mädchen seine Seele dem Teufel verschrieben habe, wenn er, ehe der Hahn krähe, mit dem Bau fertig würde. Schnell lief die Mutter in den Hühnerstall, schon waren 99 Fenster eingesetzt und nur noch das Hundertste fehlte: Da ergriff sie den Hahn, schüttelte ihn, und er krähte laut. Da hatte der Teufel sein Spiel verloren und fuhr zum Fenster hinaus. Der Schmied aber gab seine Tochter nun dem jungen Mann, dessen Nachkommen noch auf dem Roten Haubarg wohnen. Aber, die hundertste Scheibe fehlt noch immer, und so oft man sie auch am Tage eingesetzt hat, so wird sie doch nachts wieder zerbrochen.

Version auf Platt

Soweit die Überlieferung der Sage nach der Sammlung von Th.Mommsen und Th.Storm. Über die Bedeutung des Namens "Roter Haubarg" ist man sich bis heute nicht ganz klar. Wahrscheinlich geht der Ursprung aber auf den großen Friesenkönig "Radbod" zurück, der um 700 n.Chr. hier über weite Gebiete der Nordseeküste von Dänemark bis Holland regierte und an allen wichtigen Flußmündungen eine Schloßburg besaß. Ein Anhaltspunkt hierfür gibt der erhaltene Rest der Nordereider oder alten Treene im Leglichheitskoog, der den Namen "Rosenburger Tief" führt. Dieses schilfbestandene Gewässer zieht sich durch den Obbenskoog bis zum Roten Haubarg im Adolfskoog hin. Hier verlief wohl auch damals schon die Grenze zwischen Dänemark (Jütland) und Friesland, zwischen Amt Südergoosharde und Eiderstedt und schließlich zwischen Kreis Husum und Eiderstedt. Bis zum Jahre 1489, als der Dammkoog gebaut wurde, war hier wohl der Haupthandelsweg von und zur Nordsee (Westsee) und über die Treene / Rheiderau ja auch der kürzeste Weg zur Ostsee, zum Handelscentrum "Haithabu" am Selker Noor der Schlei. Auf der Karte von Johannes Meyer aus dem Jahre 1649 heißt das alte Strombett noch "Rodenborger Deep". Die "Rodenburg" (zusammengezogen aus "Radbodenburg") ist aber der Name, den die berühmte Burg König "Radbods" führte.

Reste der alten Treene, 1649

Der alte "Haubarg" ist wahrscheinlich nach der 1578 erfolgten Eindeichung des Adolfskooges errichtet worden. Die große Warft, auf der der Haubarg heute steht, nimmt fast den ganzen Nordteil der 90 m breiten und 150 m langen Warftfenne ein und weist in einer Tiefe von etwa 1 m mittelalterliche Ziegelsteine auf. Die Warft bestand also bereits vor der Eindeichung des Adolfskooges. Sie muß auch schon vor dem um 1100 n.Chr. hier errichteten Porrendeich aufgeworfen sein, da man die Warft sonst nicht auf dem hier bis 1578 flutüberspülten Vorland, sondern im sicheren Schutz des nahen Porrendeiches südlich von ihr angelegt hätte. Bei der Restaurierung des "Roten Haubargs" 1983-86 wurden vermeintliche Fundamente des ersten von den vier Ständerpaaren freigelegt, die sich später als alte verfüllte Kellerräume erwiesen. In alten Überlieferungen werden auch Keller genannt, in denen die Seeräuber und Wikinger die reiche Beute ihrer Plünderungszüge einst bargen und die mit unterirdischen Fluchtwegen verbunden waren. Auch die Bezeichnung "Rodehuus" bei Gut Arlewatt, wo die Arlau die flutsichere Geest erreicht, wird auf König "Radbod" zurückgeführt. Hier hat Theodor Storm in seiner Novelle "Grieshuus" das einstige Schloß für die Nachwelt erhalten. Mit der Sage vom Bau des "Roten Haubargs" weist eine alte Legende die von "Radbods" Schloß erzählt wird, eine überraschende Ähnlichkeit auf:

Radbod erschien im Traum der Teufel in der Gestalt eines mit einer goldenen Krone und einem reichen Gewand geschmückten Königs. Dieser warnte ihn, den Glauben seiner Väter aufzugeben und versprach ihm dafür, noch in der Nacht ein goldenes Haus für ihn zu bauen und ihm zum Geschenk darzubringen. Als Radbod am frühen Morgen erwachte, beauftragte er einen Diacon und einen Friesen, das versprochene, in der Nacht errichtete Schloß zu suchen und zu besichtigen. Draußen vor der Stadt empfing sie der Teufel in der Gestalt eines Wanderers und führte sie auf einem breiten Wege zu dem stattlichen Gebäude, das sie schon von ferne erblickten. Das Schloß war von wunderbarer Schönheit und unglaublichem Glanz. Die Zufahrtstraße war mit Gold und Perlen gepflastert und im Innern befand sich ein goldener Thron.

Entsetzt rief der Diacon, wenn das Haus von Gott erbaut sei, werde es stets Bestand haben, wenn es aber des Teufels Werk sei, werde es bald vergehen. Als sich der Diacon dann mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes segnete, wurde der Begleiter zum Teufel und verschwand augenblicklich, während das Schloß sich plötzlich in einen Dreckpfuhl verwandelte. Der Diacon und der Friese blieben allein übrig an einem sumpfigen Ort, der voll von hohem Röhricht war.

Mit dem Friesen, der Ingomar hieß, ist wohl König "Ingomer" (Ingwer), "Radbods" Sohn gemeint und "Radbods" Schwiegersohn war der alte Dänenkönig "Gorm Grymme". Überhaupt spiegelt diese alte Legende schön die Zwietracht des hier aufkommenden Christentum wider.

Seit 1801 wird Hans Asmussen aus Husum als Besitzer des "Roten Haubargs" genannt. Ab 1842 der Bürgermeister Christian Albrecht Asmussen und 1859 schließlich seine Schwester Catharina alleinige Eigentümerin. Mit August Friedrich Woldsen zusammen vermachen sie ihren Besitz der Stadt Husum als Stiftung für eine Warteschule (Kindergarten) und ein Witwenstift. Die Stadt Husum wiederum würdigte ihre Wohltäter 1902 mit dem bekannten "Asmussen- Woldsen- Brunnen". Die vom Künstler Adolf Brütt geschaffene, bronzene Brunnenfigur, die "Tine" (nach Catharina), ist längst zu einem Wahrzeichen der kleinen, schmucken grauen Stadt an der Nordsee geworden.

nach einem Sonderdruck von Goslar Carstens, bearbeitet von Peter Kahllund, Rosendahl 2001

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PS. Nun waren die Missionare ja bestens ausgerüstet mit Latein und Französisch, aber hier bei Friesisch oder Platt da gab es wohl so manche Übertragungsschwierigkeit. So wird vermutet, der Name "Radbod" wäre eine Wortbedeutung, die auf eine Gerichtstätte oder Rathaus hinweist, was früher aber eher mit Ding oder Ting, wie Tating bezeichnet wurde. Üblich waren früher auch Spitznamen, wie Blaagtaehn (Blauzahn), oder Gavelbaart (Gabelbart), evtl. könnte "Radbod" ja auch nur eine flusige Übersetzung von Rootbaart (Rotbart) sein?

Schauen Sie auch gernmal in den "Roten Haubarg" bei Witzwort in der Nähe von Husum rein

oder unter http://www.roter-haubarg.de/