Der kleine Haewelmann

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Haewelmann. Des Nachts schlief er in einem Rollenbett und auch des Nachmittags, wenn er müde war; wenn er aber nicht müde war, so mußte seine Mutter ihn in der Stube umherfahren, und davon konnte er nicht genug bekommen.

Nun lag der kleine Haewelmann eines Nachts in seinem Rollenbett und konnte nicht einschlafen; die Mutter aber schlief schon lange neben ihm in ihrem großen Himmelbett. "Mutter", rief der kleine Haewelmann, "ich will fahren!" Und die Mutter langte im Schlaf mit dem Arm aus dem Bett und rollte die kleine Bettstelle hin und her. Und wenn ihr der Arm müde werden wollte, so rief der kleine Haewelmann: "Mehr, mehr!" und dann ging das Rollen wieder von vorne an. Endlich aber schlief sie gänzlich ein; und so viel Haewelmann auch schreien mochte, sie hörte es nicht; es war rein vorbei. - -

  Da dauerte es nicht lange, so sah der Mond in die Fensterscheiben, der gute alte Mond, und was er da sah, war so possierlich, daß er sich erst mit seinem Pelzärmel über das Gesicht fuhr, um sich die Augen auszuwischen; so etwas hatte der alte Mond allī seine Lebtage nicht gesehen. Da lag der kleine Haewelmann mit offenen Augen in seinem Rollenbett und hielt das eine Beinchen wie ein Mastbaum in die Höhe. Sein kleines Hemd hatte er ausgezogen und hing es wie ein Segel an seiner kleinen Zehe auf; dann nahm er ein Hemdzipfelchen in jede Hand und fing mit beiden Backen an zu blasen. Und allmählich, leise, leise, fing es an zu rollen,

über den Fußboden, dann die Wand hinauf, dann kopfüber die Decke entlang und dann die andere Wand wieder hinunter. "Mehr, mehr!" schrie Haewelmann, als er wieder auf dem Boden war; und dann blies er wieder seine Backen auf, und dann ging es wieder kopfüber und kopfunter. Es war ein großes Glück für den kleinen Haewelmann, daß es gerade Nacht war und die Erde auf dem Kopf stand; sonst hätte er doch gar zu leicht den Hals sich brechen können.

Als er dreimal die Reise gemacht hatte, guckte der Mond ihm plötzlich inīs Gesicht. "Junge", sagte er, "hast du noch nicht genug?" - - "Nein", schrie Haewelmann, "mehr, mehr! Mach mir die Tür auf! Ich will durch die Stadt fahren; alle Menschen sollen mich fahren sehen." - - "Das kann ich nicht", sagte der gute Mond; aber er ließ einen langen Strahl durch das Schlüsselloch fallen; und darauf fuhr der kleine Haewelmann zum Hause hinaus.

Auf der Straße war es ganz still und einsam. Die hohen Häuser standen im hellen Mondenschein und glotzten mit ihren schwarzen Fenstern recht dumm in die Stadt hinaus; aber die Menschen waren nirgends zu sehen. Es rasselte tüchtig, als der kleine Haewelmann in seinem Rollenbett über das Straßenpflaster fuhr; und der gute Mond ging immer neben ihm und leuchtete. So fuhren sie die Straße aus, Straße ein; aber Menschen waren nirgends zu sehen.

Als sie bei der Kirche vorbei kamen, da krähte auf einmal der große goldene Hahn auf dem Glockenturm. Sie hielten still. "Was machst du da?" rief der kleine Haewelmann hinauf. - - "Ich krähe zum erstenmal!" rief der goldene Hahn herunter. - - "Wo sind denn die Menschen?" rief der kleine Haewelmann hinauf. - - "Die schlafen", rief der goldene Hahn herunter, "wenn ich zum drittenmal krähe, dann wacht der erste Mensch auf." - - "Das dauert mir zu lange", sagte Haewelmann, "ich will in den Wald fahren; alle Tiere sollen mich fahren sehen!" - -

"Junge", sagte der gute alte Mond, "hast du noch nicht genug?" - - "Nein", schrie Haewelmann, "mehr, mehr! Leuchte alter Mond, leuchte!" Und damit blies er die Backen auf, und der gute alte Mond leuchtete, und so fuhren sie zum Stadttor hinaus und übers Feld und in den dunklen Wald hinein. Der gute Mond hatte große Mühe, zwischen den vielen Bäumen durchzukommen; mitunter war er ein ganzes Stück zurück, aber er holte den kleinen Haewelmann doch immer wieder ein.

Im Wald war es still und einsam; die Tiere waren nicht zu sehen, weder die Rehe noch die Hasen, auch nicht die kleinen Vögel. So fuhren sie immer weiter, durch Tannen- und Buchenwälder, bergauf und bergab. Der gute Mond ging nebenher und leuchtete in alle Büsche; aber Tiere waren nicht zu sehen; nur eine kleine Eule saß oben in einem Eichībaum und funkelte mit den Augen.

  Da hielten sie still. "Das ist der kleine Kautz", sagte Haewelmann, "ich kenne ihn wohl; er will die Sterne nachmachen." Und als sie weiterfuhren, flog die kleine Eule mit von Baum zu Baum, "Was machst du da?" rief der kleine Haewelmann hinauf. - - "Ich illuminiere", rief der kleine Kautz herunter. - - "Wo sind denn die anderen Tiere?" rief der kleine Haewelmann hinauf. - - "Die schlafen", rief die kleine Eule herunter und flog wieder einen Baum weiter; "horch nur, wie sie schnarchen!" - -

"Junge", sagte der gute alte Mond, "hast du noch nicht genug?" - - "Nein", schrie Haewelmann, "mehr, mehr! Leuchte , alter Mond, leuchte!" Und dann blies er wieder die Backen auf, und der gute alte Mond leuchtete; und so fuhren sie zum Wald hinaus und dann über die Heide bis anīs Ende der Welt, und dann geradewegs in den Himmel hinein.

Hier war es lustig; alle Sterne waren wach und hatten die Augen auf und funkelten, daß der ganze Himmel blitzte. "Platz da!" schrie Haewelmann und fuhr in den hellen Haufen hinein, daß die Sterne links und rechts vor Angst vom Himmel fielen. - - "Junge", sagte der gute alte Mond, "hast du noch immer nicht genug?" - - "Nein", schrie der kleine Haewelmann, "mehr, mehr!" Und - - hast du nicht gesehen! fuhr er dem alten guten Mond quer über die Nase, so daß er ganz dunkel im Gesicht wurde. "Pfui!" sagte der Mond und nieste dreimal. "Alles mit Maßen!" Und damit löschte er seine Laterne aus, und alle Sterne machten die Augen zu. Da wurde es im ganzen Himmel auf einmal so dunkel, daß man das Dunkel fast mit Händen greifen konnte. "Leuchte, alter Mond, leuchte!" schrie Haewelmann, aber der Mond war nirgends zu sehen und auch die Sterne nicht; sie waren schon alle schlafen gegangen.

Da fürchtete der kleine Haewelmann sich sehr, weil er jetzt so allein im großen Himmel war. Er nahm wieder seine Hemdzipfelchen in die Hände und blies die Backen auf; aber er wußte weder aus noch ein, er fuhr kreuz und quer, hin und her, und niemand sah ihn fahren; weder die Menschen noch die Tiere, und auch die lieben Sterne nicht.

Da guckte endlich unten, ganz unten am Himmelsrand ein feuriges rundes Gesicht zu ihm herauf, und der kleine Haewelmann meinte, der gute Mond sei wieder aufgegangen. "Leuchte, alter Mond, leuchte!" rief er.

  Und dann blies er wieder die Backen auf und fuhr quer durch den ganzen Himmel und gerade darauf los. Es war aber die Sonne, die gerade aus dem Meere heraufkam. "Junge", rief sie und sah ihm mit ihren glühenden Augen inīs Gesicht, "was machst du hier in meinem Himmel?" Und - - eins, zwei, drei! nahm sie den kleinen Haewelmann und warf ihn mitten in das große Wasser. Da konnte er nun schwimmen lernen. - - Und dann? - -

Ja und dann? Weißt du nicht mehr? - - Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Haewelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch garzuleicht ertrinken können!

Theodor Storm, 1817 bis 1888 - revidiert von Peter Kahllund, Rosendahl 2000

Version auf Platt

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PS: Wenn du nun auch mal so den guten alten Mond und die lieben Sterne besuchen möchtest,
dann versuche es doch einmal mit deinem kleinen Hemd - - - aber Vorsicht !
Du bist da nicht allein unterwegs, schauī lieber erstmal nach bei:

http://www.spaceflight.nasa.gov/realdata/tracking/index.html