Unter dem Tannenbaum

Der Weihnachtsabend begann zu dämmern. - - Der Amtsrichter war mit seinem Sohne auf der Rückkehr von einem Spaziergange; Frau Constanze hatte sie auf ein Stündchen fortgeschickt. Vor ihnen im Grunde lag die kleine Stadt Heiligenstadt; sie sahen deutlich, wie aus allen Schornsteinen der Rauch emporstieg; denn dahinter am Horizont stand feuerfarben das Abendrot. - - Sie sprachen von den Großeltern drüben in der alten Heimat an der Nordsee; dann vom letzten Weihnachten, das sie dort erlebt hatten.

"Und am Vorabend", sagte der Vater, "als Knecht Ruprecht zu uns kam, mit dem weißen Bart und dem Gabensack und der Rute in der Hand !"

"Ich wußte wohl, daß es Onkel Johannes war", erwiderte der Knabe, "der hatte immer so etwas vor !"

"Weißt du denn auch noch die Worte, die er sprach ?" Hans sah den Vater an und schüttelte den Kopf.

"Wart´ nur", sagte der Amtsrichter, "die Verse liegen zu Haus´ in meinem Pult; vielleicht bekomm´ ich´s noch beisammen !" Und nach einer Weile fuhr er fort: "Entsinne dich nur, wie erst die drei Rutenhiebe von draußen auf die Tür fielen und wie dann die rauhe bärtige Gestalt mit der roten Nase in die feierlich geschmückte Stube trat !" Dann hub er langsam und mit tiefer Stimme an:

"Von drauß´, vom Walde komm´ ich her,
ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen.

Und d´roben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht durch die finstern Tann´,
da rief´s mich mit heller Stimme an:

"Knecht Ruprecht", rief es, "alter Gesell´,
hebe die Beine und spute dich schnell !
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt´ und Jung´ sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruh´n;
und morgen flieg ich hinab zur Erde,
auf daß es wieder Weihnachten werde !"

Ich sprach: "Oh lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist;
ich soll nur noch in diese Stadt,
wo´s eitel brave Kinder hat."

"Hast´ denn das Säcklein auch bei dir ?"

Ich sprach: "Das Säcklein, das ist hier;
denn Apfel, Nuß und Mandelkern
essen fromme Kinder gern !"

"Hast´ denn die Rute auch bei dir ?"

Ich sprach: "Die Rute, die ist hier !
Doch für die Kinder, nur die schlechten,
die trifft sie auf den Teil, den rechten !"

Christkindlein sprach: "So ist es recht,
so geh´ mit Gott, mein treuer Knecht !"

Von drauß´, vom Walde komm´ ich her,
ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr !
Nun sprecht, wie ich´s hierinnen find ?
Sind´s gute Kind´, sind´s böse Kind´ ?"

Theodor Storm, 1862 in Heiligenstadt - verkürzt von Peter Kahllund, Rosendahl 2000

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PS. Das neumodische Aussehen von heute, so wie uns der Weihnachtsmann hier oben anschaut, das kommt aus Amerika von den USA her. Und wie ich gehört habe, ist das eine Schöpfung von "Coca Cola" in ihrer rot-weißen Nationaltracht.