An Andres, wegen der Astrologie.

Ich hätte mir eher des Himmels Einfall vermutet, als daß Du eine Astrologie schreiben würdest. Du hast zwar von jeher mit den Sternen Dein Fest gehabt und pflegtest es immer als eine besondere göttliche Wohltat anzusehen, wenn Abends der Himmel helle und so recht voller Sterne war. Aber das, glaubt ich, das stecke so in Dir, sei Rührung und Freude über den großen herrlichen Anblick, weiter aber denkst Du nichts, und von Deinen Projekten ist mir niemals ´n Wörtlein in den Sinn gekommen. Du hast recht, Andres, ich habe der Dinge nachgedacht, und die Astrologie fängt an, mir einzuleuchten.

Wenn alle Sandkörner auf der Erde Augen wären, so würden all´ die Augen jedweden Stern über sich am Himmel sehen, und also fließen beständig aus jedwedem Stern Strahlen auf jedes Sandkorn der ganzen Erdveste herab. Nun ist es aber allerdings sehr unwahrscheinlich, daß eine so große Menge einer Materie, die so schnell so weit herkommen kann und aus so schönen unvergänglichen Körpern kommt, ohne alle Wirkung sein sollte.

  Mich dünkt, der bloße Eindruck in einer heiteren Nacht lehrt´s einem auch schon, daß die mit so unbeschreiblicher Freundlichkeit leuchtenden Sterne nicht kalte, müßige Zuschauer sind, sondern Angehörige der Welt.

Was Du aus den Sternen sehen willst und was Du von ihren Kräften und Einflüssen vorbringst, das sind mir lauter Böhmische Dörfer, kommt mir aber doch sehr gründlich vor, und ich wünsche mir von Herzen Deine andächtige Empfindung, mit der Du von den Sternen sprichts und darin alle Deine Ideen schwimmen, wie Blumen im Morgentau und wie die Inseln im Meer.

Die Himmelslichter sind doch wirklich, wie Augen am Menschen, offnere und zarter bedeckte Stellen der Welt, wo die Seele heller durchscheint.

Sonst tu´ ich Dir noch berichten, daß ich jetzt, Gott sei tausendmal Dank, drei Kinder hab´ und auf´s andere Halbdutzend losgehe. Du kannst nicht glauben, Andres, welch ein Fest es für mich ist, wenn der Adebar ein neues Kind bringt und die Sache nun glücklich getan ist und ich´s Kind im Arme habe ! Kann sich keine Truthenne mehr freuen, wenn die Kücklein unter ihr aus den Eiern hüpfen. "Da bist du, Liebes Kind," sag ich dann, "da bist du ! Sei uns willkommen ! Es steht dir nicht an der Stirne geschrieben, was in dieser Welt über dich verhängt ist, und ich weiß nicht, wie es dir gehen wird; aber gottlob, daß du da bist, und für das übrige mag der Vater im Himmel sorgen !" Dann herz ich´s, beseh´s hinten und vorn´ und bring´s der Mutter hin, die nicht mehr denkt der Angst; und dann, die alten Kinder auf die Erde gelegt und in Gottes Namen oben darüber weg und über Tisch und Bänke !

Leb´ wohl, Andres, es grüßt Dich Dein Matthias.

Matthias Claudius, 1740 bis 1815 - revidiert von Peter Kahllund, Rosendahl 1998

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PS. Wenn Sie mehr über Himmel und Sterne wissen wollen, so schauen Sie einmal rein in das kleine, feine Planetarium in Glücksburg,

oder virtuell http://www.planetarium-gluecksburg.de/