A b e n d l i e d

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille
und in der Dämmrung Hülle
so traulich und so hold,
als eine stille Kammer,
wo ihr des Tages Jammer
verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen ?
Er ist nur halb zu sehen
und ist doch rund und schön !
So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
sind eitel arme Sünder
und wissen nicht gar viel;
wir spinnen Luftgespinste
und suchen viele Künste - -
und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
auf nichts Vergänglichs trauen
nicht Eitelkeit uns freun !
Laß uns einfältig werden
und vor dir hier auf Erden
wie Kinder fromm und fröhlich sein !

Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod !
Und, wenn du uns genommen,
laß uns inī Himmel kommen,
du, unser Herr und unser Gott !

So legt euch denn, ihr Brüder,
in Gottes Namen nieder;
kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott, mit Strafen
und laß uns ruhig schlafen - -
und unsern kranken Nachbar auch !

Matthias Claudius, 1740 bis 1815 - revidiert von Peter Kahllund, Rosendahl 1994

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PS. Wenn Sie mehr über Matthias Claudius wissen wollen, so schauen Sie einmal

http://de.wikipedia.org/